Achim Güssgen-Ackva (FDP): „Der Wintersteinwald braucht Ruhe und keinen Aktionismus. Naturverjüngung wird uns wieder zu einem neuen, aber anderen Wald bringen.“
V. l. n. r.: Ellen Dietz (SPD Rosbach), Ralf Maurer (FDP), Klaus Heinold, Susanne Keller, Mircea Ilie Ploscaru (FDP), Heinz Sill (SPD Rosbach), Hans-Peter Rathjens (SPD Rosbach), Achim Güssgen-Ackva, Dr. Regina Bechstein-Walther, Dr. Jochen Meier (alle FDP), Jörg Deutschländer-Wolff, Eva-Maria Kirchler (beide Hessen Forst), Michael Keller (Bürgermeister a. D.)
Waldbegehung der Friedberger FDP am Winterstein mit Hessen-Forst, Experten aus Rosbach und einem Alt-Bürgermeister
Von der ganzen Wetterau deutlich sichtbar sind die großen, früher von Fichten bestandenen Kahlflächen am Winterstein. Auch große Teile des Friedberger Waldes, der sich um den Steinkopf erstreckt, sehen aus wie eine Trümmerlandschaft aus Baumruinen und -stümpfen. Anlass für die Friedberger FDP-Fraktion sich vor Ort am Kuhkopf auf knapp 500 Meter Höhe ein Bild zu machen und Antworten auf die Fragen zu erhalten, die viele Menschen in Friedberg beschäftigen: Wie geht der Forst mit dieser Situation um und wird es wieder Wald auf den Kahlflächen geben?
Zur Klärung dieser Fragen begrüßte der Fraktionsvorsitzende Achim Güssgen-Ackva Revierförsterin Eva-Maria Kirchler und Jörg Deutschländer-Wolff, den Leiter des Forstamts Weilrod, die als Dienstleister für die betroffenen Kommunen Friedberg und Rosbach sich der beispiellosen Situation stellen müssen. Aus Rosbacher Sicht erläuterten die ökologischen und finanziellen Herausforderung der Erste Stadtrat und früher für dieses Revier zuständige Förster und damit intime Kenner des Waldes, Heinz Sill, zusammen mit Dr. Hans-Peter Rathjens, Fraktionsvorsitzender der SPD und Haushaltsexperte. Wie wichtig diese Frage für Rosbach ist, zeigt sich daran, dass für Rosbach sechsstellige Summen im Feuer stehen, da der Rosbacher Wald rund zwölfmal größer als Friedberger Wald ist. Auch Friedbergs Altbürgermeister Michael Keller, dem der Winterstein sehr am Herzen liegt, wie er dies nicht nur mit seiner erfolgreichen Initiative für den Aufbau des Wiederaufbaus des Wintersteinturms deutlich gemacht hat, war vor Ort.
Jörg Deutschländer-Wolff, der Leiter des Forstamts Weilrod, und Revierförsterin Eva-Maria Kirchler wiesen eindrucksvoll auf die Auswirkungen des Klimawandels hin. Drei Jahre Sommertrockenheit und der Borkenkäfer haben der Fichte, die es in diesen Höhenlagen als Flachwurzler ohnehin schwer hat und wie hier am Kuhkopf schon vorher Probleme hatte, den Garaus gemacht. Dazu kamen noch massive Schäden an den Buchenbeständen, was man in diesem Umfang nicht erwartet hätte. Heinz Sill wies darauf hin, dass sich der Eichenschälwald in dem Extremstandort um den Steinkopf vergleichsweise stabil halte. Vielleicht deshalb, weil diese Eichen schon mehrere hundert Jahre alt sind. Für Fichten und Buchen vollzögen sich dagegen die klimatischen Veränderungen rascher als es ihre Anpassungsfähigkeit hergebe. Für die Förster habe das zur Folge, dass vom Borkenkäfer befallene Fichten umgehend gefällt werden müssten und eine Antwort gefunden werden muss, wie mit den zahlreichen Kahlflächen umzugehen sei. Naturverjüngung und nicht Wiederaufforstung durch an die Herausforderungen des Standorts nicht angepassten Arten, das sei das Gebot der Stunde, erklärte Deutschländer-Wolff.
Erste Versuche mit großflächigen Neuanpflanzungen seien aufgrund der Trockenheit schnell gescheitert und so erläuterten Heinz Sill und Dr. Peter Rathjens für Rosbach mit Aufwendungen in sechsstelliger Höhe weder finanziell leistbar noch ökologisch sinnvoll. Heinz Sill warnte auch vor überzogenen Hoffnungen in die Douglasie.
Die drei anwesenden Förster, der pensionierte wie die beiden aktiven, setzen große Hoffnungen in die Natur vor Ort. Schon jetzt stelle man fest, dass die Natur beginne, sich aus ihrem eigenen Potential mit Arten wieder aufzubauen, die vor Ort eine Überlebenschance hätten. Der Wald erhole sich aus sich selbst.
„Wo jetzt noch wüst aussehende Flächen sind, werden wir in den nächsten Jahren wieder eine Vielzahl von Sträuchern und Bäumen sehen. Wir“, so Kirchler und Deutschländer-Wolff weiter, „werden diese Entwicklung behutsam steuern.“ Auch Rosbach werde der Natur Zeit geben, „damit sind wir bisher erfolgreich gefahren, und wir werden weiterhin keine Experimente wie massenhafte Douglasienanpflanzung machen“, erklärten Sill und Rathjens.
Einen weiteren Aspekt brachte die Revierförsterin ein. Nicht nur der Klimawandel auch das Rehwild ist gerade für die jungen Triebe eine massive Bedrohung. Gerade beim jetzt nachwachsenden Baumbestand sei die Gefahr, dass Rehe die gut schmeckenden jungen Rinden und Triebe fressen, groß. Hier müsse eine entsprechende Bejagung stattfinden, um das Gleichgewicht zu halten. „Das Schlimme am Verbiss ist ja, dass die Durchmischung des Baumbestandes nicht mehr funktioniert,“ so Försterin Kirchler. „Für einen funktionierenden Wald brauchen wir alle Baumarten und müssen auch den übrigen natürlichen Bestand an Pflanzen gewährleisten.“
Und eine weitere Beobachtung von Frau Kirchler konnten die Anwesenden nur bestätigen, die starke Besucherfrequenz in diesem Waldgebiet um Steinkopf und Winterstein. „Im Revier Romrod, wo ich vorher war, habe ich in der Woche kaum Menschen im Wald gesehen, das ist hier ganz anders. Unsere Arbeit steht hier im Ballungsraum im Fokus der Öffentlichkeit, erklärte Frau Kirchler. In den zwei Stunden am Kuhkopf kamen fortlaufend Spaziergänger, Wanderer und Mountainbiker, alleine und in Gruppen, vorbei.
Im Wintersteinwald kreuzen sich viele oft höchst widersprüchliche Interessen, erklärte Alt-Bürgermeister Michael Keller. Nicht immer deckungsgleich seien die Interessen des Forsts, früher stärker an der rein wirtschaftlichen Holznutzung und heute am Wiederaufbau eines Mischwaldes orientiert, die der Öffentlichkeit, wie gerade jetzt in der Coronazeit deutlich wird, an einem für Wanderer, Spaziergänger und Mountainbiker spannenden Wald, die der Jäger am Wild und der Naturschützer beispielsweise an der Wildkatze. Die Vielzahl dieser Interessen von Land und Bund, einiger privater Waldbesitzer, versuchen die Kommunen Friedberg, Rosbach, Wehrheim und Ober-Mörlen, jetzt in einem Bebauungsplan zu fassen. Alt-Bürgermeister Michael Keller wies darauf hin, dass bei aller Kritik an der Windkraft keine Verhinderungsplanung am Winterstein betrieben werde. Schließlich besäßen Bund und das Land Hessen am Winterstein große Flächen und hätten sich politisch dafür entschieden, am Winterstein Windkraft zu entwickeln. Der Bebauungsplanentwurf versuche diese Entwicklung zu steuern. Man werde sehen, wie dies gelingt.
„Es war ein spannender und lehrreicher Nachmittag“, so Güssgen-Ackva. Gleichzeitig seien lange bekannte, aber von manchen politischen Akteuren geflissentlich übersehene Erkenntnisse deutlich ins Bewusstsein gerückt worden. Seine Lehre aus den spannenden Vorträgen der Experten: „Der Wald darf nicht länger als kommunale Einnahmequelle gesehen werden. Wer seinen Beitrag zur Erhaltung der Waldlandschaft leisten will, muss Geduld aufbringen und gezielt investieren. Es muss um Wiederbewaldung und nicht um Abholzung gehen, auch nicht für Windräder!“ Man könne nicht so tun, als ob man den Wald schütze, indem man erst große Teile des Baumbestandes fälle, um industrielle Anlagen zu errichten.